Mit dem Heiland der Welt gehen wir auf die Straße
„Was soll das noch? Die Fronleichnamsprozession ist doch sowieso nicht
viel mehr als religiöse Folklore oder heimatliches Brauchtum. Es geht allenfalls
um Sehen und Gesehen werden. Die Hostie in der Monstranz oder besser: der Christus
als Brot ist dabei die größte Nebensache der Welt.“
„Was soll das noch?“, so fragt kritisch ein 18-jähriger im
Religionsunterricht. Hat er nicht recht? Und wie recht er hat! Er hat recht,
wenn wir an Fronleichnam nur eine große Show abziehen, und er hat so lange
recht, als wir nicht Christus in der Gestalt des Brotes zur Hauptsache, besser:
zur Hauptperson des Ganzen werden lassen. Ein Satz in seiner Kritik könnte
uns auf die richtige Spur bringen, auf das rechte Verständnis, auf einen
tieferen Vollzug unserer Fronleichnamsfeier.
„Es geht allenfalls um Sehen und Gesehen werden.“ Genau darum geht
es, auch wenn unser Kritiker es anders gemeint hat. An Fronleichnam geht es,
im rechten Sinn verstanden, um Sehen und Gesehen werden.
1. Es geht einmal darum, dass der HERR uns sieht, dass wir von IHM gesehen werden! Wie oft erzählt uns das Evangelium, dass Jesus die Menschen anblickt, voll Güte, liebevoll, mitleidsvoll. Er sieht sie und ihre Not. Er weiß was sie brauchen und hilft. Die wunderbare Speisung der Fünftausend, von der wir im Evangelium hörten, ist dafür nur ein Beispiel von vielen. Wenn wir Jesus in der Brotsgestalt durch die Straßen tragen, dann ist er bei uns und schaut uns an. Und es ist immer noch der Blick der Liebe, mit dem er uns ansieht, und es gilt immer noch das Wort: „Herr, schau uns an und wir leben.“
2. Zum andern geht es an Fronleichnam darum, dass WIR ihn sehen,
den Herrn in der Brotsgestalt. Anbetend sollen wir auf ihn sehen, und erwartungsvoll
dürfen wir zu ihm aufschauen, wenn ihn uns die Kirche im Schaugefäß
der Monstranz zeigt. Zachäus wollte Jesus sehen und die vielen anderen,
die Kranken, die Sünder, und alle die zu ihm kamen. In ihre Schar reihen
wir uns ein, um Jesus zu sehen. Möge Gott geben, dass auch uns dabei die
inneren Augen aufgehen wie den Emmausjüngern: Sie erkannten den Herrn,
als er das Brot brach.
Um das rechte Sehen und Gesehen werden geht es am Fronleichnamstag, und das
mag uns abschließend noch eine kleine Begebenheit verdeutlichen: Dem Missionar
einer Buschkirche in Neuguinea fiel ein Mann auf, der immer nach der Sonntagsmesse
lange Zeit auf dem Boden sitzen blieb, die Arme auf der Brust kreuzte und zum
Altar schaute. Der Missionar nahm sich eines Tages ein Herz und fragte ihn,
was er denn da die ganze Zeit tue. Der Mann antwortete: „Ich schaue IHN
an und er schaut MICH an, ich halte meine Seele in die Sonne.“ (Grünbuch
38)
Wie eine Sonne ist auch unsere Monstranz gestaltet, ein Kranz von Strahlen geht
von ihrer Mitte aus, vom Herrn in der Brotgestalt. Halten auch wir unsere Seele
in diese Sonne! Schauen wir IHN an, er schaut UNS an. Amen.
(Otto Nachtmann, 2004)